Warum Singen eine der größten Freuden überhaupt ist |
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Ein Gespräch mit der Chorleiterin Jasmine Vollmer
(Interview im Tagesanzeiger-Magazin)
von Anuschka Roshani
www.dasmagazin.ch
17.08.2016 |
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Musik jenseits von Richtig und Falsch |
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Weit jenseits der Ideen,
vom Richtigen und Falschen,
von Sprache und Religion,
liegt ein Feld.
Dort will ich dir begegnen.
Wenn die Seele sich auf jenem Gras bettet,
wird die Welt zu gross für Worte.
Rumi, islamischer Mystiker des 12. Jahrhundert
Das Wichtige in der Musik steht nicht in den Noten, hat Gustav
Mahler einmal bemerkt. Musik kann man analysieren, aufschreiben,
begreifen jedoch nur, wenn man sie hört. Ein musikalisches Werk
ist immer mehr, als die Summe seiner Teile.
Gleiches könnte man über den Glauben sagen. Er ist mehr als
Worte. Worte können eine Brücke sein, Sprossen am Klettergerüst,
aber nicht mehr. Es gibt ein Feld jenseits von Worten, Begriffen
und Bildern. Einen Bereich jenseits der Ratio. Musik und Glaube
ziehen den Menschen dorthin. Die Sehnsucht nach diesem Feld,
nach dem Land jenseits von Richtig und Falsch, entspricht dem
Paradies, jener Zeit, als wir noch nicht vom Baum der Erkenntnis
von Gut und Böse gegessen hatten und ständig urteilen und
bewerten mussten. Die Musik bewahrt die Erinnerung an das
verlorene Paradies, sagt Hildegard von Bingen.
Für unsere Zeitgenossen ist dieses jenseitige Land nicht leicht
zu erreichen. Doch die Wächter und das Flammenschwert, die in
der Bibel das Paradies versperren, sind wir selbst und wir
bemerken es nicht, weil unsere Wahrnehmung ständig im Modus des
Urteilens und Bewertens ist, in der linken Gehirnhälfte. Selbst
unsere Religion war 500 Jahre lang vor allem ein Wortgefecht,
ein Streit über Richtig und Falsch, über reformiert oder
katholisch. Sogar vor der Kirchenmusik machte das nicht halt.
Bach hat man bei den Katholiken nicht gespielt und Mozart nicht
bei den Protestanten.
Dabei gibt es gerade in der Musik kein „richtig“ oder „falsch“.
Musik transportiert keine Wahrheit an sich, sondern ist vielmehr
eine Wahrnehmung, mit der wir versuchen, ein Geheimnis zu
berühren. Ganz in der Gegenwart sein, im Strom des Lebens -
nichts kann uns das besser lehren als die Musik, weil sie immer
eine in der Zeit gestaltete Kunst bleibt. Sie ereignet sich nur
beim Hören, macht uns zu Gefangenen des Augenblicks, lässt sich
aber selbst nicht einfangen. Die Töne der Stimmen und
Instrumente schwingen gleichsam in uns und verschaffen uns
Zugang zu unseren tieferen Gefühlsschichten, zum heiligen Raum
in uns.
Sinnspruch:
Weit jenseits der Ideen,
vom Richtigen und Falschen,
liegt ein Feld.
Dort will ich dir begegnen.
01.09.2015 |
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Wer ist der Königin der Instrumente? |
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Die Orgel oder die Harfe? Nach meiner
Erfahrung hat meist die Harfe den einfacheren Zugang, weil ihr
feiner Klang die Herzen leichter berührt. „Die Orgelmusik war
schön, aber die Harfenklänge haben mich berührt.“ So höre ich es
immer wieder. Vor kurzem durfte ich in der Psychiatrie eine
Feier mit der Harfe umrahmen. Vorsorglich riet mir der
Seelsorger, am Ende nur etwas Kurzes zu spielen, da die
Patienten recht schnell unruhig würden. In der letzten Sekunde
entschied ich mich doch für ein längeres Stück, und
siehe da, im Raum war es so still, dass man eine Stecknadel
hätte fallen hören können.
Offensichtlich hat sich in 3000 Jahren an der Wirkung der Harfe
nichts geändert. Schon vom biblischen David wird berichtet, dass
er König Salomon mit Harfenklängen in seiner Schwermut tröstete.
Heute ist wissenschaftlich erwiesen, dass die Harfe eine
wohltuende und heilende Wirkung auf die menschliche Psyche hat.
Selbst Kinder reagieren fasziniert und horchen auf die leisesten
Töne. Liegt es daran, dass die Harfe bei jedem Ton mitvibriert
oder dass man die Harfe beim Spielen umarmen muss?
Anders die Reaktion der Kinder auf die Orgel. Sie faszinieren
die vielen Knöpfe, Register und Schalter, die Klangmöglichkeiten,
Wandlungsfähigkeit und ihre gewaltige Lautstärke.
Das war von Anfang an so. Kaum hatten die Griechen die Orgel
erfunden, nutzen sie die Römern zur Beschallung von
Gladiatorenkämpfen im Kolosseum. Schön wird es nicht geklungen
haben, aber laut und einschüchternd. Wen wundert´s, dass auch
die Frankenkaiser die Orgel zu Propagandazwecken besitzen
wollten und bald darauf die Kirchenfürsten. Die Orgel als
Machtinstrument. Zum Glück begriffen die
Orgelbauer und Orgelspieler, dass Gottes Allmacht, um die es ja
eigentlich geht, auch fein und vielgestaltig daherkommt und sie
ersannen Register, die wie Engelszungen, Posaunen, Trompeten und
alle anderen erdenklichen Instrumente tönen. Herausgekommen ist
das vielseitigste und komplexeste Instrument, das die Menschheit
je entwickelt hat und das allein wie ein ganzes Orchester zu
klingen vermag.
Wem gebührt also die Krone?
Der Harfe, dem ältesten Instrument der Welt, mit ihrer
Krone auf der Säule, die an die Könige das Alten
Testaments erinnert?
Oder der Orgel mit ihren oft ebenfalls bekrönten, kostbar
verzierten Prospekten und ihrer jahrhundertelang
Vormachtstellung in Kirchen und Kathedralen? Der Orgel, für die
der König der Komponisten, Johann Sebastian Bach, ein schier
unerschöpfliches Repertoire schuf und ihr eine Vorrangstellung
in der kirchlichen Verkündigung sicherte. In manchen
evangelischen Kirchen in Bachs Heimat thront die Orgel sogar
über Abendmahlstisch und Kanzel.
Für mich habe ich die Frage bereits entschieden. Die Krone
gebührt beiden oder keiner, denn gerade ihre Unterschiedlichkeit
macht für mich die Faszination aus. Und so wie die sensible
Harfe auch ihre selbstbewussten und temperamentvollen Seiten
hat, so vermag auch die Orgel je nach Registrierung und Stück
zutiefst zu berühren.
Jasmine Vollmer,
11.01.2013
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